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20. August 2019

Barfuß in Mumbai

Das Taxi in Mumbai sieht aus als würde es jeden Augenblick zusammenbrechen. Blinker gibt es schon lange keinen mehr, die Armaturen hatten schon bessere Jahre gesehen. An jeder Ampel, an jeder Kreuzung stirbt das Auto ab und wird mit unendlicher Geduld des Taxifahrers und unter einem unendlichen Hupkonzert der restlichen Verkehrsteilnehmer wieder in Gang gebracht. Ich sehe zu wie der Lenker das Gaspedal betätigt und blicke auf seine Füße.

Er ist barfuß.

Mumbai – Zu Besuch in der Moschee Haji Ali Dargah

Fast direkt vor der Moschee steige ich aus und werde neugierig von den Mumbaikar beäugt. Momentan sind wenige Touristen in Mumbai unterwegs. Mit meinen beigen Outdoorklamotten falle ich neben den elegant gekleideten Inderinnen in ihren bunten Saris natürlich auf. Gemeinsam pilgern wir in einer langen Schlange zum Haji Ali Dargah, Grabmal und Moschee zugleich. Das Gebäude ist nur über einen Betonsteg mit dem Festland verbunden.

Kaum komme ich bei der Moschee an, dröhnt eine Stimme aus den Lautsprechern. Ich vermute einen Aufruf zum Gebet, als ein Inder auf mich zukommt und mir erklärt, dass das Tor zur Moschee für die nächsten zwei Stunden schließen würde. Entweder bleibe man im Gebäudekomplex oder man geht zum Festland zurück. Gemeinsam mit vielen Indern schieße ich noch schnell ein Erinnerungsfoto und beschließe umzukehren.

Das Meerwasser schwappt an manchen Stellen über den brüchigen Betonsteg. Es kommt von links und von rechts. Die Stände, in denen vor wenigen Minuten noch Opfergaben verkauft wurden, sind verschwunden. Die einzigen, die ausharren, sind Bettler, die mit verzweifelten Gesten ihre Pappbecher und Metalldosen in die Höhe halten. Neben mir rafft eine Inderin ihren Sari zusammen und trippelt mit vorsichtigen Schritten in das Nass. Ihre Flipflops hält sie in der rechten, den Arm ihres Kindes in der linken Hand. Beide, Kind und Mutter, sind barfuß. Ich rette mich auf eine Betonstufe und blicke in die Fluten.

„The Tide is coming“, raunt mir ein Mann zu.

Wie so viele andere ziehe ich meine Schuhe aus, kremple unter den amüsierten Blicken der Umstehenden meine Hosenbeine in die Höhe und steige ins Meer. Entgegen meiner Befürchtungen ist das Wasser warm. An manchen Stellen sehe ich den Beton unter dem Wasser schimmern, an manchen Stellen ist es knöchelhoch, an der schlimmsten Stelle knietief.

Da bin ich, barfuß in Mumbai.

Der Mahalakshmi Tempel

Nur wenige Meter von der Moschee entfernt liegt der hinduistische Mahalakshmi Tempel. Noch sind meine Hosenbeine nicht getrocknet, trotzdem reihe ich mich in die Schlange der Gläubigen ein. Noch haben wir alle unsere Schuhe an, als wir an den Verkaufsständen vorbeigehen, die Blumengirlanden, Glücksbringer, Rosen und Kokosnüsse verkaufen.

Die Betonung liegt auf noch, denn je näher wir dem Heiligtum kommen, umso mehr Gläubige entledigen sich ihrer Schuhe. Unter jedem Verkaufsstand türmen sich Schlapfen und Flip-Flops. Für ein kleines Entgelt gebe ich meine Schuhe bei einer Schuhgarderobenfrau ab.

Barfuß reihe ich mich in die Warteschlange ein

Ich reihe mich wieder ein in die lange Schlange der indischen Frauen, die sich auf das Allerheiligste zubewegen. Den Männern ist eine eigene Schlange zugedacht. Die Frauen vor und hinter mir sind in bunt schimmernde Saris gehüllt, die Arme mit Goldarmbändern geschmückt. Kinder klammern sich an ihre Mütter, es herrscht Festtagsstimmung an diesem Sonntag. Schritt für Schritt steigen wir die Treppen zum Tempel empor, jede Handtasche wird durchsucht, meinen Fotoapparat muss ich abgeben.

Vor mir stehen sicher noch um die 300 Personen, als mich ein Aufseher zur Seite nimmt, eine Gittertür öffnet und mich direkt vor die drei Göttinnen Mahalakshmi, Mahakali and Mahasaraswati schiebt. Eine weitere Aufpasserin drückt mir eine Blume in die Hand, die ich vor die Göttinnen lege. Als Gegengabe bekomme ich eine Lotusblüte und eine Süßigkeit gereicht und werde Richtung Ausgang geschoben. Stopp, möchte ich schreien.

Die Geste mich vorzulassen war sicherlich nett gemeint, aber weder konnte ich einen Blick auf die Göttinnen erhaschen, noch mich auf das Ritual einlassen.

Es ging mir viel zu schnell und verwirrt stand ich da, die Blüte in der einen, eine süße Kugel in der anderen Hand und starrte auf meine bloßen Füße.

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Am liebsten würde ich als Wolkenbeobachterin in einem Baumhaus leben. Bis zur Decke vollgestopft mit Büchern, versteht sich. Denn die verschlinge ich, seit ich denken kann. Ich bin eine Vielleserin, durch und durch. Irgendwann hab‘ ich selbst mit dem Schreiben angefangen. Weil ich mich erinnern möchte. Weil sich auf Papier gebracht vieles leichter sagen lässt. Weil ich kleinen und großen Dingen mit den richtigen Worten das nötige Gewicht verleihen will. Wie eine Geschichtenerzählerin. Meine Texte packe ich wie Geschenke in Formulierungen ein – und der Leser packt sie aus.

Miriam blitzt - Miriam Mehlman Fotografie