Europa > Tschechien > Kutná Hora – Ein Besuch zwischen Stille, Licht und Staunen

20. Juni 2025

Kutná Hora – Ein Besuch zwischen Stille, Licht und Staunen

Kutna Hora

Es regnet in Strömen, als ich mich vom Hotel in Kutná Hora Richtung Kathedrale auf den Weg mache. Eigentlich habe ich überlegt, einfach im Zimmer zu bleiben. Doch die Gelegenheit ist günstig: es sind kaum Touristen unterwegs. Der Weg auf dem unebenen Kopfsteinpflaster ist nass und zusätzlich zerrt der Wind am Schirm, das Fotografieren vor dem Hauptportal ist eine Herausforderung – zu stark ist der Regen, zu ungemütlich das Wetter. Nur ein schnelles Bild, dann suche ich Schutz im Inneren.

Drinnen empfängt mich nicht nur ein eindrucksvoller Kirchenraum, sondern auch ein freundlicher Kartenverkäufer, der mir mit einem Lächeln das Ticket reichte. Ich lasse den tropfenden Schirm stehen – und trete ein. Trotz des trüben Wetters bin ich überrascht, wie hell es in der Kirche ist. Durch die hohen Fenster fällt gedämpftes, aber weiches Licht in das Kirchenschiff und bringt die gotischen Formen zum Leuchten.

Gotische Stille und überraschendes Licht

Ich bewege mich im Uhrzeigersinn, ganz intuitiv – links vorbei am Hauptaltar, an den feinen Netzgewölben und den reich verzierten Seitenkapellen. Die acht Apsiden wirken wie kleine Rückzugsorte, jeder mit eigener Symbolik, eigenen Farben, eigenem Licht. Ich lasse mich treiben.

Besonders eindrucksvoll ist die Münzkapelle. Hier entdecke ich Fresken aus der Mitte des 15. Jahrhunderts – die ältesten der ganzen Kirche. Sie zeigen Passionsszenen: Christus vor Kaiphas, die Dornenkrönung, die Geißelung. Darüber – fast unscheinbar – zwei Männer, die aus Silberplatten sogenannte Planchets stanzen, also Rohlinge für Münzen. Kutná Hora war einst ein Zentrum der Silberprägung – und genau das wird hier sichtbar. Die Verbindung von Glauben, Handwerk und städtischem Reichtum wird an dieser Stelle der Kirche auf beeindruckende Weise deutlich. Ein modernes Kirchenfenster von 2013 zeigt zudem die heilige Agnes von Böhmen, wie sie sich um einen kranken Bettler kümmert – ein stilles, bewegendes Bild.

Hin und wieder bleibe ich stehen, betrachte die Figuren, die barocken Fresken, das Zusammenspiel von Gotik und späteren Umbauten. Es ist ruhig in der Kirche, fast andächtig. Ich höre meine eigenen Schritte auf dem Steinboden. Wenige Besucher sind da. Ich genieße dieses Gefühl, mit der Geschichte allein zu sein.

Ein Blick nach oben

Plötzlich bleibe ich stehen und blicke hinauf – ganz automatisch. Über mir verzweigt sich das Gewölbe wie ein Sternenhimmel. Die sogenannte „Böhmische Kappe“ spannt sich hoch über den Chor, und durch die farbigen Fenster tanzt das Licht. Ich atme ein. Dies ist ein Ort, an dem man den Atem der Jahrhunderte spürt.

Über eine Treppe steige ich hinauf zur Galerie. Dort oben ist es noch stiller. Ich lehne mich an das steinerne Geländer und blicke in den Raum hinab. Die Orgel steht verlassen, nur ein paar vereinzelte Besucher wandern andächtig durch das Kirchenschiff.

Kurz vor 18 Uhr bin ich fast allein. Ein Mann mit einem Schlüsselbund steht geduldig am Ausgang. Sein Blick ist freundlich, aber bestimmt – bald wird geschlossen. Ich bin dankbar, dass ich diesen Ort in Ruhe erleben durfte.

Rückkehr ins Licht

deckengewoelbe Kutna hora kathedrale

Am nächsten Morgen komme ich wieder. Es ist sonnig, das Licht ist strahlender, die Kirche wirkt fast noch einmal größer. Diesmal lausche ich der Stimme des Audioguide – und lerne noch viel mehr über diesen besonderen Ort. Wie Kutná Hora im Mittelalter durch den Silberbergbau zu Reichtum kam, wie die Kirche als Ausdruck dieses Wohlstands entstand. Der Bau begann 1388 – finanziert von reichen Bergwerksbesitzern, die ein Gotteshaus für ihre Schutzpatronin Barbara errichten ließen, mitten auf einer Landzunge über dem Fluss Vrchlice. Die Kirche war nie ein Werk der Kirche allein – sie war ein Ausdruck bürgerlichen Selbstbewusstseins, eine Kathedrale der Bergleute.

Ich blicke hinauf zur Decke, lasse den Blick über das Netzgewölbe wandern, das in Teilen bis heute erhalten geblieben ist. Die Wände sind von Emblemen der Bergbauzünfte geschmückt, der Bergbaualtar ist eine Hommage an die Wurzeln der Stadt. Der Audioguide erklärt mir auch, dass die Kirche nie ganz fertiggestellt wurde – zu groß waren die Pläne, zu wechselhaft die Geschichte. Nach der Zeit der Jesuiten, später durch Restaurierungen unter Josef Mocker und Ludvík Lábler, wurde die Kirche schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts vollendet.

In diesem Moment strömt eine Schulklasse durch das Kirchenschiff, voller Energie. Ihre Stimmen hallen durch den Raum, das Licht tanzt auf den Steinfliesen. Ein ganz anderer Moment als am Vortag – lebendig, jung, laut. Und doch scheint auch das zur Kirche St. Barbara zu gehören: Ein Ort der Einkehr – und ein Ort der Bewegung.

Hinterlassen Sie einen Kommentar





drei × 4 =

Ein wilder Ort voller Geschichten!

Du möchtest wissen, wer hier schreibt? Bitte schön:

Am liebsten würde ich als Wolkenbeobachterin in einem Baumhaus leben. Bis zur Decke vollgestopft mit Büchern, versteht sich. Denn die verschlinge ich, seit ich denken kann. Ich bin eine Vielleserin, durch und durch. Irgendwann hab‘ ich selbst mit dem Schreiben angefangen. Weil ich mich erinnern möchte. Weil sich auf Papier gebracht vieles leichter sagen lässt. Weil ich kleinen und großen Dingen mit den richtigen Worten das nötige Gewicht verleihen will. Wie eine Geschichtenerzählerin. Meine Texte packe ich wie Geschenke in Formulierungen ein – und der Leser packt sie aus.

Miriam blitzt - Miriam Mehlman Fotografie