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11. Februar 2015

Ein Liebesbrief an Marseille

fischernetze am hafen von marseille

Lieber Jean-Claude Izzo,

ich habe es geschafft, endlich bin ich da, in Ihrer Stadt, in Marseille. Gerade eben habe ich im TGV den ersten Teil Ihrer „Marseille-Trilogie“ beendet oder sagen wir lieber, „eingesogen“.

Schon zum dritten Mal lese ich dieses Buch. Jetzt packe ich es in meinen Rucksack, steige aus dem Zug, trete vor die Bahnhofshalle und atme tief durch. Und ein. Und aus. Der Geruch von Meer landet in meiner Nase.

Sie schreiben in Ihrer Marseille-Trilogie: „In Marseille behält der Herbst manchmal bis Ende Oktober einen sommerlichen Beigeschmack. Schon die leiseste Brise belebt die Thymian-, Minze- und Basilikumdüfte.“ 

Ich schnuppere. Es stimmt.

Schnell rein in die Stadt, zum Alten Hafen. Ich mache Ihnen ein Geständnis: Es ist das erste Mal, dass mich ein Buch zu einer Reise inspiriert hat. Dass ich glaube, eine Stadt zu kennen, die ich bisher nur auf dem Papier kennengelernt habe. Ja, ich will mich auf die Fersen Ihrer Romanfigur Fabio Montale heften, Pastis trinken, Fisch essen, die Frioul-Inseln erobern und das Stadtviertel Panier erkunden.

Hoffentlich sind Sie mir nicht böse wenn ich die Vororte links liegen lasse, aber mir fehlt die Zeit. Ich habe nur vier Tage um Marseiller Luft einzusaugen. Das ist nicht viel!

Liebe Grüße, Ihre Reisebloggerin

Lieber Jean-Claude Izzo,

das war ein Tag gestern. Habe ich Ihnen eigentlich erzählt, dass ich im Hotel Alizé abgestiegen bin? Dabei war es reiner Zufall, dass ich dieses Hotel für meinen Aufenthalt wählte. Erst viel später habe ich gelesen, dass Sie es als Schauplatz für Ihr Buch „Chourmo“ wählten und dort Fabio Montales Cousine unterbrachten. Mein Zimmer war noch nicht fertig, das Gepäck konnte ich an der Rezeption abgeben und jetzt wollte ich nur hinunter zum Vieux Port, dem alten Hafen.

Er liegt ja sozusagen vor meiner Haustüre oder besser gesagt Hoteltüre. Die Möwen kreischten über den vielen Segelyachten, die im Hafenbecken liegen. Ich ließ sie sprichwörtlich links liegen und stieg den Hügel zum Panier hinauf. Ganz oben fand ich den Place Moulin vor, doch die Mühlen gab es nicht mehr. Ruhig war es hier, fast wie in einem Dorf. Die Rue du Panier war ebenfalls ausgestorben.

Ich schlenderte durch schmale Gassen.

Die Farbe blätterte von den Wänden und von den Fensterläden. Ein Laden liegt hier neben dem anderen, die Gasse war zugestellt mit Ramsch oder Antiquitäten oder beidem. Die Besitzer der kleinen Restaurants kehrten den wenigen Platz vor den Lokalen sauber und stellten wackelige Stühle und Tische vor die Tür.

Wo liegt eigentlich Ihr Geburtshaus? Ist es das Haus mit den blauen Fensterläden? Oder das mit den bunten Blumentöpfen? Die Charité fand ich sofort und ein bisschen ist Ihre Trilogie ja auch ein Reiseführer, wenn Sie in „Total Cheops“ schreiben: „Ich ging an der alten Charité vorbei, dem – unvollendeten – Meisterwerk von Pierre Puget. Das alte Hospiz hatte die Pestkranken während des letzten Jahres aufgenommen, die Bedürftigen Anfang dieses Jahrhunderts und schließlich alle, die nach dem Befehl zur Zerstörung des Viertels von den Deutschen vertrieben worden waren. Es war Zeuge des Elends gewesen. Jetzt funkelte es in aller Pracht.“ 

Marseille funkelte, und wie es funkelte!

Auch die Kathedrale am Hafen, die Sie salopp „La Major“ nennen. Sie schreiben auf Seite 30: „Die Fähre war in das große Joliette Hafenbecken hinausgefahren. Sie glitt hinter die Kathedrale La Major. Die untergehende Sonne verlieh dem grauen, von Dreck strotzenden Stein ein wenig Wärme. Um diese Tageszeit zeigte La Major mit ihren byzantinischen Rundungen ihre wahre Schönheit.“ Ja, sie ist schön, diese Kathedrale, wunderschön. Außen wie innen. Diese Millionen von Mosaiksteinchen, zusammengefügt zu schwungvollen Ornamenten. Dieser riesige Innenraum, diese imposanten Türme!

Und trotzdem, kaum entfernte ich mich von ihr, wurde  sie immer kleiner. Das Kreuzfahrtschiff im Hafen überragte sie fast. Sie verschwand hinter dem muCEM, dem Musée des civilisation de l’Europe et de la Méditerranée. Es ist nur eine Vermutung, aber ich glaube, der Museumsbau gefällt Ihnen nicht. Wahrscheinlich musste sehr viel „altes“ Marseille weichen um dem „modernen“ Marseille Platz zu machen.

Ich selbst bin mir noch nicht sicher, was ich davon halten soll. Ich finde, dieses Museum ist noch nicht ganz angekommen in der Stadt.

Wer auch immer ankommt in Marseille wird von der Kathedrale Notre-Dame-de-la-Garde begrüßt. Sie thront auf einem 162 Meter hohen Hügel.

Wiegt die goldene Marienstatue wirklich 11,2 Tonnen?

Von hier oben hat man den schönsten Blick auf die Stadt, das Hafenbecken und die Frioul Inseln. Und fast hätte ich das Meer vergessen! Es spielt doch eine der Hauptrollen in Ihren Romanen. Auf Seite 121 schreiben Sie: „Das Meer nahm eine metallic-blaue Farbe an. Ich mochte es, wenn Marseille in den Farben von Lissabon erstrahlte.“ Und auf Seite 259:  „Man braucht nur das Fenster zu öffnen und hat das ganze Meer für sich. Umsonst. Wenn man nichts hat, ist es viel, das Meer – dieses Mittelmeer – zu besitzen. Wie ein Kanten Brot für den Hungrigen.“

Hungrig war ich jetzt auch. Ich habe mich in irgendein Lokal reingesetzt und Fisch bestellt. Ob der heute früh noch im Mittelmeer schwamm? Ich werde es herausfinden, morgen, am Hafen….

Liebe Grüße,
Ihre Reisebloggerin

In Marseille war ich vom 24.-27.Oktober 2014. 

Die kursiv gesetzten Zitate im Text stammen aus dem Buch: Die Marseille-Trilogie von Jean-Claude Izzo, erschienen im Unionsverlag, Zürich. 

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Am liebsten würde ich als Wolkenbeobachterin in einem Baumhaus leben. Bis zur Decke vollgestopft mit Büchern, versteht sich. Denn die verschlinge ich, seit ich denken kann. Ich bin eine Vielleserin, durch und durch. Irgendwann hab‘ ich selbst mit dem Schreiben angefangen. Weil ich mich erinnern möchte. Weil sich auf Papier gebracht vieles leichter sagen lässt. Weil ich kleinen und großen Dingen mit den richtigen Worten das nötige Gewicht verleihen will. Wie eine Geschichtenerzählerin. Meine Texte packe ich wie Geschenke in Formulierungen ein – und der Leser packt sie aus.

Miriam blitzt - Miriam Mehlman Fotografie